Die Aufwendungen der Arzneimittelhersteller für das Marketing sind in den letzten Jahren enorm gestiegen und haben die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erreicht oder gar überschritten. Ärzte halten sich meist für immun gegen die allgegenwärtigen Werbe- und PR-Strategien - zu Unrecht, konstatieren eine deutsche und eine britische Untersuchung übereinstimmend. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen analysiert im Gutachten 2005, Koordination und Qualität im Gesundheitswesen, unter anderem die Einflüsse auf die Arzneitherapie und befasst sich auch mit der Beeinflussung des Verordnungsverhaltens durch die Pharmaindustrie (1).
Er fordert, die Mechanismen der Marketingstrategien transparent zu machen, damit Ärzte und Patienten sich davor schützen können. Einige dieser Methoden werden im Gutachten beschrieben:
das Sponsoring von Vorträgen scheinbar unabhängiger Experten, das selektive Veröffentlichen oder Verschweigen von Studienergebnissen, die Kampagnen zur ?Aufklärung? über erfundene absatzträchtige Krankheiten, die so genannten Beobachtungsstudien, die Finanzierung oder Gründung von Selbsthilfegruppen, um direkt an die Patienten heranzukommen.
Nicht so zurückhaltend wie in dem deutschen Gutachten und viel detaillierter sind diese und andere Marketingmethoden in einem Untersuchungsbericht geschildert (und mit Quellenangaben genau belegt), mit dem das britische Unterhaus seine Gesundheitskommission beauftragte. Dieser parlamentarische Ausschuss hat die Arbeit des Gesundheitsministeriums und der ihm zugeordneten Institutionen zu überwachen. Sein Report über "The Influence of the Pharmaceutical Industry" (2), der auf über hundert Memoranden und zahlreichen Expertenbefragungen beruht, ist der erste Bericht zu diesem Problem seit 1914.
Fast ein Jahrhundert lang habe man also die Pharmaindustrie sich selbst überlassen, stellt die Kommission fest. Bei aller Anerkennung dieses "Juwels in der Krone der britischen Wirtschaft" kritisiert sie scharf die ehlentwicklungen,die durch solche Laxheit entstanden sind: Das britische Gesundheitsministerium glaubte zu lange, das öffentliche Gesundheitsinteresse und die Interessen der Industrie (vom Ministerium sogar finanziell unterstützt!) seien identisch. Die Industrie hat ihren Einfluss auf alle Bereiche des Gesundheitswesens, einschließlich der Arzneimittelaufsicht, immer mehr ausgedehnt. Sie formt die Agenda wie auch die Praxis der Medizin und der Forschung. Was keinen Gewinn verspricht, wie z.B. nichtmedikamentöse Verfahren, wird daher nicht erforscht.
In den Firmen dominieren nicht die Wertvorstellungen der Wissenschaftler, sondern die der Marketingexperten. Sie greifen in die Forschung ein, von der Themenwahl bis zur Interpretation bzw. Manipulation und Verbreitung oder Unterdrückung der Resultate. Zwei Beispiele: 1. Vioxx (Rofecoxib) wurde in einer Studie nur deshalb mit Naproxen verglichen, weil es in anderen Studien nicht besser abgeschnitten hatte als die beiden wichtigsten NSAID. 2. Die Off-Label-Verordnung von selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) für depressive Jugendliche, wodurch sich bekanntlich ihre Suizidgefährdung erhöhte, wurde durch Ghostwriter-Publikationen forciert, wofür medizinische Meinungsführer ihre Namen gaben. Dies ist eine verdeckte Vermittlung von Werbebotschaften!
Die Marketingleute sorgen dafür, dass erwünschte Ergebnisse auf seriös wirkende Weise breit gestreut werden, etwa in bezahlten Supplementen renommierter Fachblätter, die als Sonderdrucke von Firmenvertretern tausendfach an Ärzte verteilt werden. Auf "wissenschaftlichen" Veranstaltungen sprechen von den Herstellern hoch bezahlte Meinungsführer. Nach Fachkongressen schreiben auf Firmenkosten eingeflogene Journalisten in kostenlos verteilten Ärzteblättern Positives über deren beim Satellitensymposion gerühmte Präparate. Auch in die Tagespresse, in Fernsehdokumentationen und -seifenopern werden solche Werbebotschaften lanciert.
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